Die neue Schülerzeitung ist schon ausverkauft. Genau 200 Exemplare abzüglich der Beleghefte für die Anzeigenkunden liegen jetzt bei Ihnen, unseren Leserinnen und Lesern, auf dem Sofa oder im Reisekoffer. Die Redaktion hat ihre erste Ausgabe vor den Ferien kritisch und liebevoll begutachtet: Was ist geglückt, was könnte besser werden? Nun hofft sie auf zahlreiche Leserbriefe.
Sie heißt „Morgenspruch!“ Die Namenswahl war für die achtköpfige Redaktion, die sich monatelang einmal die Woche zum journalistischen Arbeiten traf, eine erste Herausforderung. Die viel diskutierte Frage lautete: Wollen wir mit dem Magazinnamen auf das Besondere unserer Schule, auf den Waldorfaspekt, anspielen oder ist der ein so selbstverständlicher Teil von uns, dass er gerade nicht mehr thematisiert werden muss?
Weil uns die zündende Titelidee fehlte, wir aber für das Coverdesign dringend einen Titel brauchten, lagerten wir die Frage an die Schulgemeinschaft aus. Aber auch unser ausgehängtes Plakat am schwarzen Brett mit der Bitte, Vorschläge für einen Schülerzeitungsnamen zu hinterlassen, brachte nicht den erhofften Durchbruch. Manche Vorschläge waren zu schräg, manche französisch, manche albern, manche klangen nach Waldorfklischees, manche eher nach einer vornehmen Galerie und viele begannen mit Namensabwandlungen von Rudolf Steiner. „Rudis Rundschau“ oder „The Stones“ waren noch die besseren Ideen. Am Ende schrieben wir erstmal unter dem Arbeitstitel „Baumjournal“ weiter. Als „Baumschule“ wird Waldorf von Schüler*innen der öffentlichen Schulen gerne verspottet. Die Waldorfschüler*innen nehmen es locker und nennen sich selbstironisch Baumschüler. „Wir brauchen einen Namen, der unser Selbstbewusstsein spiegelt und nicht diese nervigen Klischees aufgreift“, wandte ein Redaktionsmitglied ein. So schaffte es "Baumjournal" nicht auf das Cover.
Plötzlich stand der Titel „Morgenspruch!“ im Raum. Schon jetzt weiß keiner mehr, wer den Namen erstmals vorschlug, aber „Morgenspruch!“ entpuppte sich als kleinster gemeinsamer Nenner. Ohne den Morgenspruch startet niemand an unserer Schule in den Tag. Und weil das so klar ist, entschieden die Schüler*innen: mit Ausrufezeichen!
Überall werden derzeit Zeitungen vom Markt genommen. Print sei ein totes Pferd, heißt es. Kein Mensch lese noch gedruckt. Angesagt sei längst nur noch das Digitale. Sogar Gruner & Jahr, Hamburgs namhaftes Medienunternehmen, wurde zuletzt um 23 Print-Magazintitel minimiert und der Fokus neu ausgerichtete auf das digitale Geschäft. Absolute Weltuntergangsstimmung ist unter Print-Journalisten zur Zeit spürbar. Und genau in dieser Phase gründeten ein paar Schüler*innen aus der 8., 9., 10., und 12. Klasse der Rudolf-Steiner-Schule Hamburg-Bergstedt voller Elan, voll von Zuversicht und Neugier, ihr eigenes Schulmagazin. Was ganz sicher niemals aus der Mode kommen wird, ist das Interesse an unserem eigenen Lebensplan und an unseren Mitmenschen. Und darauf fußt jede gelungene Zeitung. Wie leben und lernen die Anderen? Was ist ihnen wichtig? Wofür setzen sie sich nach der Schule ein? Wovor haben sie Angst? Was erträumen sie sich? Und ganz wichtig: Wie stehe ich mit den Mitschüler*innen und auch den Lehrer*innen in Beziehung. Wer will ich selber sein? Darum geht’s. Wer schreiben will, sollte Neugier mitbringen, aber auch mit verschiedenen Textformen vertraut sein. Vom Porträt über die Reportage bis hin zum Interview.
„Wie macht man aus einem Interview denn ein Porträt?“, fragte eine Zehntklässlerin. Ihr Interview mit einem älteren Schüler über dessen sportlichen Erfolg sollte zunächst nur der Informationsbeschaffung dienen. Anschließend galt es, die eigenen Fragen und die herausgekitzelten Antworten in einen Text umzuwandeln und den Mitschüler schließlich mit eigenständigen Beobachtungen zu beschreiben. Gar nicht so einfach. Die Grundlage für ein journalistisches Porträt ist die genaue Beobachtung. Genau zu sein, das ist eine Qualität, die man überall braucht, auch in Schulaufsätzen, auch in Mathe und auch beim Layout eines Magazins. An einer Stelle im Heft ging uns in beim Schlusslayouten ein Buchstabe verloren, genau gesagt ein großes J im Kulturjournal. Es fehlte plötzlich in der finalen Fassung. Zahlreiche Schüler*innen machten uns, die Redaktion, darauf aufmerksam. Nun ist es einfach, Fehler zu finden, aber es war mühsam, nicht mehr als nur dieses einzige J zu verlieren. Das wissen die, die wochenlang zuhause am Computer ihre Texte in das Layoutprogramm übertrugen und Überschriften, Bildunterschriften und den Vorspann solange hin und her schoben, bis sie exakt mit genügend Abstand zu den Fotos und den Rändern oder den Werbeanzeigen passten. „Ihr hättet die Anzeigen kleiner machen können, dann hätte mein Artikel genügend Platz gehabt“, kritisierte der Autor eines Artikels nach dem Druck. So einfach ist es nicht.
Jede Redaktion, die sich selbst finanziert, ist dankbar für Werbeanzeigen. Der Farbdruck ist teuer. Und auch die Anzeigen müssen ins Gesamtbild passen, dürfen nicht zu groß, aber auch nicht zu klein sein. Übrigens freut sich die Redaktion nach wie vor über jede und jeden, der sich schon jetzt bereit erklärt, in der zweiten Ausgabe mit Werbung für sein Unternehmen dabei zu sein.
Die Schüler*innen, die an der ersten Ausgabe mitwirkten, schrieben übrigens ohne die Aussicht auf eine Note. Sie gaben ihr journalistisches Herzblut, ohne etwas dafür zu bekommen. Sie recherchierten und texteten in ihrer Freizeit. Als das Heft endlich aus dem Druck kam, organisierten sie eigenverantwortlich den Verkauf. Wer steht zu welcher Uhrzeit in der großen Pause mit einem Heftstapel am Kiosk? Wer verkauft auf dem Sommerfest, am Konzertabend, auf der letzten Monatsfeier des Jahres? Wer beaufsichtigt die Kasse? Wer sichtet die Leserbriefe und verantwortet die Gewinnspiele? Ein Schüler entdeckte sein Verkaufstalent und dachte darüber nach, vielleicht sogar eine berufliche Leidenschaft daraus zu machen. Und wer unterstützte den Verkauf?
Viele Lehrer*innen liefen zuletzt mit einer Schülerzeitung in der Hand über die Flure. Zahlreiche Eltern und Großeltern kauften ein Exemplar und sogar einige Erstklässler*innen überredeten ihre Mütter, ein Foto von sich mit ihrem Lieblingsbuch an die Redaktion zu schicken, damit sie in Ausgabe 2 in unserem Kulturjournal erscheinen. „Da ist ja eine richtige Bewegung entstanden“, sagte eine Schulmutter.
Aber die wichtigste Leserschaft sind natürlich die Schüler*innen selbst. Besonders froh war die Redaktion über zwei spontane Rückmeldungen kurz vor den Ferien: „Ich würde im nächsten Heft gerne die Fotos machen!“, bot sich eine Zehntklässlerin an. Und eine Zwölftklässlerin schlug vor, einen Text über mentale Gesundheit zu schreiben. In der Redaktionskonferenz wird über jeden Beitrag diskutiert und entschieden. Jetzt sind wir gespannt, ob wir auch mit Leserbriefen überhäuft werden, ob es Lob und Kritik hagelt und ob Sie sich alle die Chance nicht nehmen lassen, an unseren insgesamt drei Gewinnspielen teilzunehmen. Das wäre großartig!
Silia Wiebe, Deutschlehrerin und Redaktionsmitglied